Dieser Artikel stammt aus der antimilitärischen Zeitschrift tilt, Ausgabe 1/96

Keiner von uns!

Geschichte von einem, der auszog, um andere das Fürchten zu lehren

Als 1979 der ein junge Totalverweigerer Nico Hübner aus dem DDR-Knast in den Westen entlassen wurde, konnten sich die Fernsehsender aus der ersten Reihe und die Zeitungen mit den Balkenüberschriften gegenseitig kaum einholen vor Respekt und Bewunderung gegenüber dem DDR-Militärver- weigerer. Heute steht der israelische Soldat Naftali Hibner an der jordanischen Grenze und macht Jagd auf Menschen, die er Terroristen nennt.


Franz J. Strauß verlieh ihm den Konrad-Adenauer-Freiheitspreis, der damalige USA-Präsident Jimmy Carter hat sich persönlich für seine Freilassung eingesetzt, und die anderen Westalliierten reichten regelmäßig Protestnoten an Honecker und Co. ein. Die Freiheit kam mit der Amnestie zum 30. Jahrestag der DDR. Zusammen mit dem Rudolf Bahro (heute Oekofaschist) wurde Nico Hübner in den Westen entlassen.

Eigentlich hätte aus Hübner ein ordentlicher DDR-Bürger werden können. Der Vater arbeitete an der zentralen Parteihochschule der SED, und die Mutter war Redakteurin beim DDR-Rundfunk. In der Schule waren Nico viele Aussagen nicht staatsnah genug. Der Umschwung muß so mit 16 oder 17 gekommen sein, als er sich entschloß, wegen der Arbeitspflicht in der DDR in den Westen zu gehen. Ständig nervten die Eltern, weil er keine regelmäßige Arbeit aufnahm. Seine Berufsausbildung schmiß er bald hin.

Hübner wurde 1978 zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, weil er sich weigerte, Dienst in der Nationalen Volksarmee (NVA) zu leisten. Auch den Einsatz bei den Bausoldaten lehnte Nico ab. Er berief sich dabei auf den Berlin-Status: Als Ostberliner sei er nicht verpflichtet, Militärdienst zu leisten, da ganz Berlin entmilitarisiert sei. Der Entschluß, nicht zur Armee zu gehen, stand für Hübner schon recht früh fest; der Berlin-Status lieferte Hübner die passende politische Begründung. Der Staat statuierte ein Exempel. Als Pazifist oder Christ, wie man Nico Hübner im Westen oft nannte, verstand sich Hübner nie.

Aus dem Knast ins gelobte Land: Europa

In der BRD angekommen, stürzte sich zuerst die Regenbogenpresse auf ihn. Der Stern bot Hübner für die Exklusivrechte an seiner Geschichte über 100 000 Mark an. Hübner lehnte ab. Den Zuschlag erhielt die Bild-Zeitung, deren Verleger Axel Cäsar Springer den Ostberliner besonders ins Herz geschlossen hatte. Hübner wurde auf Parteiveranstaltungen von CDU und FDP herumgereicht und gefeiert. Helmut Kohl nannte ihn ein "Vorbild der deutschen Jugend". Hübner wollte in der Oeffentlichkeit das Bild von der DDR "verbessern". Doch meist saß er etwas hilflos im Podium und bildete die Kulisse für die Auftritte konservativer Politiker. Angebote aus der Werbebranche lehnte er ab.

Genervt vom Rummel um seine Person zog sich Hübner ins Privatleben zurück und begann an einer Westberliner Universität ein Philosophiestudium, daß er später abbrach. In dieser Zeit suchte er Kontakt zu einem Rabbi, um Jude zu werden. Zuvor hatte der atheistisch erzogene Hübner schon ein wenig am Christentum geschnuppert, es aber für sich abgelehnt. Die jüdische Religion sagte ihm mehr zu, da er in ihr den Ursprung der anderen religiösen Richtungen sah. Der Rabbi ließ ihn noch drei Jahre warten, um die Dauerhaftigkeit seines Wunsches zu prüfen, dann wurde Hübner aufgenommen.

Aus der Talmud-Schule ins gelobte Land: Asien

Hübner besuchte eine Talmud-Schule, um selber Rabbi zu werden. Anschließend zog er nach Israel und leistete dort direkt nach seiner Einbürgerung den Grundwehrdienst in der israelischen Armee. Der orthodoxe Jude Hübner ließ seinen Namen ändern und lebt mit seiner Frau, der russischen Jüdin Maja, und seinem Sohn als Einsiedler irgendwo am Rande einer isra- elischen Siedlung. Zu seinen Eltern, seiner ersten Frau und deren gemein- samen Kind hat Nico Hübner keinen Kontakt mehr.

Politisch fühlt sich Hübner der national-religiösen Richtung verbunden. Einmal im Jahr rückt er für 40 Tage zur Armee-Reserve an die streng bewachte jordanische Grenze aus. Einen Unterschied zur Berliner Mauer sieht Hübner so: Jeder kann im Gegensatz zur DDR frei reisen. Die jordanische Grenze werde zwar ebenso scharf bewacht, doch nur wegen der "Terroristen", denn die müsse man "abschrecken und notfalls auch umlegen." Nico Hübner - einer von uns?


SC

Alle Fakten und Zitate wurden dem MDR-Film "DerProvokateur" entnommen.

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