Steter Tropfen höhlt das Eisen

Totalverweigerer in der DDR

Während hunderte Nazis mit SED-Hilfe in führende Positionen der NVA vorrückten, wurden Totalverweigerer mit fünf Jahren Haft bedroht. Trotzdem rang die wachsende Totalverweigererszene den Herrschenden immer wieder Zugeständnisse ab. Ein Rückblick.

"Die Nationale Volksarmee der DDR ist im Gegensatz zur Bonner Armee, die als imperialistische Armee auf der allgemeinen Wehrpflicht beruht, eine Freiwilligenarmee", erklärt das DDR-Verteidigungsministerium 1961. Ein paar Wochen später ist dieser Text reinste Makulatur. Bereits 15 Tage nach dem Mauerbau beschließt der Nationale Verteidigungsrat, die Wehrpflicht einzuführen. Eine Massenflucht auf Grund der Militarisierung ist nun nicht mehr zu befürchten. Die Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern beginnt. Aber schon vor Einführung der Wehrpflicht gibt es drastische Strafen für Militäraussteiger. So wird am 2. September 1958 ein NVA-Soldat wegen Desertion zum Tode verurteilt.

Die ersten Totalverweigerer, Gerd Hübner und Joachim Zachu, werden im April 1962 verhaftet und sechs Wochen später zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Bischof Noth hatte bei Ministerpräsident Grotewohl interveniert. Andere werden härter bestraft: Am 17. Januar 1964 verurteilt das Militärobergericht den NVA-Gefreiten Kroll wegen Fluchtversuchs zu lebenslangem Zuchthaus.

Einmalig im kommunistischen Ostblock: Die Bausoldatenregelung

Zwischen 1962 und 1964 sind bereits 1550 Kriegsdienstgegner registriert. Dies und die Fürsprache kirchlicher Amtsträger, wie z.B. der Bischöfe Jänicke, Jacob und Krummacher, haben zur Folge, daß am 7. September 1964 das Gesetz über den waffenlosen Militärdienst, die Bausoldatenregelung, eingeführt werden muß. Etwa 200 Verweigerer folgen der ersten Einberufung zu den Spatensoldaten, obwohl das Gesetz bis zum Ende der DDR nicht öffentlich bekannt wird. Nicht alle leisten Gehorsam. Im Mai 1965 verurteilt das Militärgericht Rostock im Schnellverfahren die Bausoldaten Jörg Hildebrandt, Gerhard Mesecke und Horst Müller wegen Befehlsverweigerung zu sechs Monaten Haft. Die Kirche denkt 1965 neu über den - im Ostblock einmaligen - Kompromiß der Bausoldatenregelung nach: "Die Frage [nach dem Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen] gewinnt äußerste Dringlichkeit durch die Verweigerung auch des als "Wehrersatzdienst" bezeichneten Dienstes in den Baueinheiten durch Glieder der Gemeinden und ihre gerichtliche Verurteilung". Einige Bausoldaten verweigern Arbeiten an militärischen Einrichtungen. Vielen wird klar: Der einzige Unterschied des Militärdienstes zum herkömmlichen Knast besteht darin, daß es in 18 Monaten 18 Tage Urlaub gibt.

Das Strafmaß für Totalverweigerung beträgt nun mindestens 18 und zumeist 24 Monate Knast. Trotzdem verweigern nicht nur Zeugen Jehovas total, insgesamt etwa 5000. Genaue Zahlen sind allerdings auch nach Öffnung der Archive nicht zu erhalten, da SED und Stasi tunlichst vermieden, politische Verurteilungen offenzulegen. Nur ein Zehntel der Verurteilten in den Jahren 1964 bis 1982 sind keine Zeugen Jehovas. Zwischen 150 und 200 verweigernde Jehovas Zeugen wurden pro Jahr verurteilt. Die Zahl der anderen verurteilten Verweigerer liegt zwischen 3 in 1966 und 32 in 1974. 1982 beträgt sie bereits 44.

Es gab Absprachen im Politbüro, nicht zu viele kirchlich gebundene Häftlinge zu haben. Zeugen Jehovas dagegen galten als Freiwild, da sich für die Angehörigen dieser verbotenen Sekte "die in der DDR zugelassenen Kirchen und Religionsgemeinschaften nicht verwenden.", wie es in einem Brief von Verteidigungsminister Hoffmann an Honecker im Mai 1984 heißt. Ende der Siebziger Jahre nimmt die Zahl nichtreligiöser Verweigerer sprunghaft zu. Dazu kommen Reservedienstverweigerer. Diese werden nicht als Bausoldaten anerkannt und so zu Totalverweigerern.

Abrüstung von unten: Ost- und West-TKDVer arbeiten zusammen

Ab etwa 1983 gibt es Kontakte zwischen Verweigerern in Ost und West. Ausgereiste bzw. zwangsausgebürgerte Mitglieder der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR her vermitteln diese. Persönliche Friedensverträge mit der gegenseitigen Versicherung, sich dem jeweiligen Militärblock zu verweigern, werden in dieser Zeit der Atomwaffenstationierung geschlossen. So versichern 1983 z.B. die gleichnamigen, aber nicht verwandten TKDVer Rüdiger (DDR) und Christoph (BRD) Rosenthal einander, die Blockkonfrontation von unten zu durchbrechen. Während 1985 Christoph Bausenwein aus Nürnberg zu 16 Monate Haft verurteilt wird, kommt sein Friedensvertragspartner aus Ostberlin, Herbert Mißlitz, nach vier Wochen wieder aus dem Knast: Er gehört zu den 70, von 170 geplanten, im November 1985 verhafteten erklärten Totalverweigerer. Das löst die bis dato größte Protestwelle von Friedensgruppen aus Holland, der Bundesrepublik und der DDR sowie Amtsträgern der evangelischen Kirche aus. Der Erfolg: Die Einberufungsbefehle werden rückgängig gemacht.

Zwei der Totalverweigerer, Stefan Pilz und Mario Ender, werden im folgenden Jahr wegen "ungesetzlicher Verbindungsaufnahme" verurteilt. Die Stasi wertet Wehrdienstverweigerungen als "Ergebnis gegnerischer Einflußnahme". TKDVer aus beiden deutschen Staaten wollten eine gemeinsamen Petition von Wehrpflichtverweigerern veröffentlichen. Die je vierzig avisierten Unterschriften kommen jedoch nicht zustande. Zur Friedenswerkstatt 1988 in Ostberlin stellen Totalverweigerer aus Ost und West gemeinsam das Denkmal "Dem unbekannten Deserteur" her. Ein Stück Eisenbahnschiene wird zerschweißt und auseinandergebogen, versinnbildlichend das sich dem Gleichförmigen, Eingeschienten Verweigern. Derzeit seht das Denkmal in der Berliner Gemeinde Hohenschönhausen.

Die Totis organisieren sich: Der Freundeskreis Wehrdiensttotalverweigerer

Jetzt ist bekannt, daß nach dem Erfolg von 1985 die Herrschenden die Finger von dem heißen Eisen ließen, Totalverweigerer einzuberufen. Doch Rechtssicherheit gab es nicht. Gebot der Stunde war vielmehr, von Einberufungen und Knast Bedrohte zu unterstützen. Aus dieser Notgemeinschaft entstand der Freundeskreis Wehrdiensttotalverweigerer (FWTV). Wahrscheinlich verriet ausgerechnet der von Totalverweigerern bevorzugte Rechtsanwalt Schnur die Gründung des FWTV der Stasi. Mielke erließ 1988 ein Rundschreiben an alle Bezirksverwaltungen, um nach den organisierten Wehrfeinden zu fahnden.

Die Stasi resümiert 1989: "Wesentlich zurückzuführen auf die Auswirkungen weltweit zunehmender pazifistischer Strömungen und die Änderung der Haltung kirchenleitender Kräfte in den evangelischen Kirchen in der DDR zur Ableistung des Wehrdienstes (der bekundeten Gleichrangigkeit von Wehrdienst mit und ohne Waffe sowie Totalverweigerung wurde die Auffassung gegenübergestellt, wonach die Totalverweigerung Ausdruck höchsten christlichen Friedenszeugnisses sei) verzeichneten ab Mitte der 80er Jahre die Verfechter der Totalverweigerung einen erheblichen Zuwachs. Im Ergebnis dessen waren jüngere kirchliche Mitarbeiter, die z. T. selbst als Wehrdienstverweigerer in Erscheinung traten, bemüht, Gruppen von Wehrdiensttotalverweigerern zu schaffen. So formierte sich der sogenannte Freundeskreis Wehrdiensttotalverweigerer/Region Berlin im Jahre 1986 als loser Zusammenschluß. Dieser "FK-TV" ist bestrebt, sich zum Zentrum einer "Basisbewegung" zur Abschaffung der Wehrpflicht und der "Entmilitarisierung der Gesellschaft" zu profilieren." ##Als Fußnote in kleinerer Schrift, muß aber unbedingt mit rein##(Anlage zur Information Nr. 150/89; BStU, ZA, Z 3756, Bl. 43; Quelle: Matthias-Domaschk-Archiv)##

Was machen Totis aus dem Osten heute?

Rainer Eppelmann, der 1965 als Bausoldat gemeinsam mit Hans-Joachim Ebert das Gelöbnis verweigerte und deshalb acht Monate lang inhaftiert wurde, brachte es bekanntlich zum Abrüstungsminister. Er schreibt in seinen Erinnerungen: "In Westdeutschland hätte ich damals wahrscheinlich nicht verweigert. Heute würde ich aber in keinem Land der Erde mehr als Soldat eine Waffe in die Hand nehmen - das ist eine zentrale Lehre aus meinem Leben." Sein Bundestagskollege Markus Meckel, der 1970 seine Totalverweigerung erklärte und sechs Jahre später ausgemustert wurde, wurde Außenminister. Aber so etwas kommt eben nur vor, wenn gleich eine ganze Diktatur zusammenbricht. Auch der jetzige Berliner Landesbeauftragte für die Stasiunterlagen, Martin Gutzeit, hatte in den 70ern totalverweigert.

Aber zu denjenigen, die ab 1986 im Freundeskreis Wehrdiensttotalverweigerer aktiv waren. Thomas Kittlas ist Rechtspfleger im Grundbuchamt am Amtsgericht Wedding. Er verfaßte während seiner Ausbildung eine Arbeit über das Soldaten-sind-Mörder-Urteil. Guido Hermann ist aktiv in der Initiative "Taten statt warten", die Hilfsgüter für Flüchtlinge nach Kroatien schafft. Er lebt wie der Weimaraner TKDVer Jan-Georg Fischer in einem besetzten. Haus. Lorenz Postler ist Stadtrat für Gesundheit und Soziales. Die meisten sind in der Jugendsozialarbeit tätig. Das liegt daran, daß der Virus Totalverweigerung zu DDR-Zeiten vor allem unter Sozialdiakonen umging.

Gerold Hildebrand

 

Dieser Text wurde der tilt-Ausgabe 2/97 entnommen.