Zu Killermaschinen dressiert

Kinder als Täter: Kindersoldaten

Sie werden zu absolutem Gehorsam gedrillt, kämpfen furchtlos, weil sie die Gefahren des Krieges nicht kennen und sind aufs Töten dressiert: Kindersoldaten. Weltweit stehen 50 000 bis 200 000 Kinder unter Waffen. Es gibt zwar internationale Abkommen, die das verbieten, aber wenn selbst die Niederlande den Einsatz minderjähriger Soldaten erwägen, liegt die Hemmschwelle in den Dritte-Welt-Staaten natürlich ein wenig niedriger. Allein in Mosambique schickten die Renamo-Rebellen 10000 Kinder an die Front. Kinder, die nie wieder zu normalen Menschen werden, weil sie nie eine wirkliche Kindheit hatten.

Sie töten Menschen, zünden Verräter an und schlitzen schwangeren Frauen den Bauch auf. Sie sind mit ungeheuerlichen Verbrechen konfrontiert – nicht nur als Opfer, sondern auch als Täter. Eine der Kindersoldatinnen der ugandischen Lord‘s Resistance Army (LRA) berichtet: Ein Mann hatte gegen die Regeln der Kinder-Truppe verstoßen – er war mit dem Fahrrad gefahren. Der Mann wurde für dieses »Verbrechen« von den Mädchen »hingerichtet«. Anschließend schnitten sie seine Beine ab, und seine Frau mußte, um ihr Leben zu retten, eins davon aufessen.

Nachzulesen ist diese schauerliche Geschichte in einem Bericht von amnesty international über die Kindersoldaten der LRA, die im Norden Ugandas operiert. Rund 8000 Kinder sind von der Rebellentruppe in den vergangenen drei Jahren entführt und dann mit brutalsten Mitteln dazu gezwungen wurden, in »Gottes Widerstands-Armee« zu kämpfen. Die ominöse Truppe mit religiösem Impetus wird von einem Joseph Kony geführt und aus dem Sudan mit Waffen unterstützt. Kinder, die aus dieser »Armee« in den Sudan flüchteten, wurden ihren Peinigern umgehend wieder überstellt. »Die gezielte und systematische Entführung von Kindern durch die LRA zerstört eine ganze Generation«, erklärt Andrew Mawson von amnesty. Die Gotteskrieger überfallen Schulen und rekrutieren inzwischen wohl fast 90 Prozent ihrer Kämpfer aus den Reihen der Kinder, die anschließend mit brutalsten Mitteln diszipliniert werden.

So werden Neuankömmlinge zu rituellen Morden an anderen Kindern gezwungen. Im August 1996 mußten drei Jungen anderes Kind gemeinsam mit einer Axt töten. Eine Gruppe von Mädchen mußte drei Monate später ein anderes Mädchen umbringen, das zu fliehen versucht hatte. Anschließend bekamen die kleinen Killerinnen »zur Abschreckung« auch noch 15 Peitschenhiebe. Die Mädchen werden häufig von den Kommandeuren vergewaltigt und dann älteren Soldaten als »Belohnung« zugeteilt.

Selbst wenn die Mädchen fliehen können, leiden sie unter sexuell übertragenen Krankheiten und tragen das soziale Stigma der Vergewaltigung. Und schließlich wollen die Familien die Kinder oft noch nicht einmal zurücknehmen, weil sie sich vor Rachefeldzügen der göttlichen Befreiungsarmee fürchten. In Liberia wurden heimkehrende Kindersoldaten von der Dorfgemeinschaft schlicht umgebracht, weil man Angst vor ihnen hatte.

Einzelne Psychologen meinen, man könne diesen Kindern helfen – vorausgesetzt, die Kinder verdrängen die Zeit nicht einfach. Sie lassen die Kinder durch Medizinmänner von ihren Taten symbolisch reinwaschen. Aber die Verarbeitung des Geschehens ist schwer. Psychologe Boia Efraime, der ehemalige Kindersoldaten in Mosambique behandelt, erzählt, es gebe zwar viele Opfer, aber keine Täter. »Die Täter sitzen in der Regierung und bei der Polizei. Wie sollen Kindersoldaten akzeptieren, daß ihr Tun falsch war, wenn andere für ihre Taten sogar belohnt werden?«

Die Vereinten Nationen erwägen momentan, das Mindestalter für die Rekrutierung von Soldaten von 15 auf 18 Jahre heraufzusetzen – was kaum hülfe, da die meisten Kinder ohnehin entführt und zum Kriegsdienst gezwungen werden.

Hoffnung für die Kindersoldaten besteht momentan in Kolumbien. Dort haben sich die Rebellengruppen gerade unter dem Druck von unabhängigen Organisationen dazu bereit erklärt, ihre 2000 Mann starken Kindertruppen aufzulösen. Die linksgerichteten »Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens« und das »Nationale Befreiungsheer« bestehen nach eigenen Angaben zu 15 Prozent aus Kindersoldaten. Diese sollen jetzt in einer entmilitarisierten Zone unter Aufsicht der UN entwaffnet werden. Schätzungen zufolge kämpfen rund 7000 Minderjährige in den Reihen der kolumbianischen Guerilla; viele sind weniger als acht Jahre alt.

Ausgerechnet die Niederlande planen aber jetzt, Minderjährige in die Reihen des Militärs aufzunehmen. Schon 16jährige sollen Soldat werden können; eine entsprechende Mehrheit dafür zeichnet sich im Parlament ab. Die niederländische Armee klagt seit dem Wegfall der Wehrpflicht vor zwei Jahren über Nachwuchsmangel, der jetzt mit Jugendlichen ausgeglichen werden soll.

Kinderschutzorganisationen reagierten empört und warfen der Regierung vor, den Kampf gegen »Kindersoldaten« in der Dritten Welt zu unterminieren. Sogar das eigene Außenministerium las den Regierungskollegen die Leviten: Holland habe sich bisher international dafür eingesetzt, daß Soldaten mindestens 17 Jahre alt sein müßten. Aber: Was schert die Holländer denn ihr dummes Entsetzen von gestern?

Thomas Schüsslin

Dieser Text ist Teil der tilt-Ausgabe 2/98.