"Irgendwann muß Schluß sein"

Interview mit einem DDR-Totalverweigerer

Detlef Pump erfand nicht das Pump-Gun. Im Gegenteil: Er verweigerte vor 20 Jahren als einer der ersten aus der Jenaer Szene total. Nach den Protesten in Jena gegen die Biermann-Ausbürgerung 1976 reagierte die Stasi mit Inhaftierungen, Abschiebungen und Verfolgungen. Pump sollte zum nächstfolgenden Einberufungstermin bei der Nationalen Volksarmee kalt gestellt werden. Doch er erklärte seine Totalverweigerung. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Herrschenden solcherart Radikalität fast nur von Zeugen Jehovas gewohnt. Gerold Hildebrand sprach mit Detlef Pump über dessen Erfahrungen.

? Pump, Du wurdest im Mai 1978 zu zwei Jahren Knast verurteilt. Wie kam es dazu?

! Ich war damals 25 Jahre alt, arbeitete als gelernter Schlosser in einem Betriebsteil von Carl Zeiss Jena als Klimaanlagenfahrer. Mit dem politischen System in der DDR hatte ich schon länger Schwierigkeiten. Ich sagte mir: Irgendwann muß Schluß sein. Aus gesundheitlichen Gründen war ich eine Zeit lang zurückgestellt von der Armee. Zur Einberufungsüberprüfung im Frühjahr 1977 erklärte ich meine Totalverweigerung. Da war mir klar, daß mindestens zwei Jahre Knast drohen. Außerdem befürchtete ich, nach der Knastzeit wieder einberufen zu werden. So stellte ich ein halbes Jahr später einen Ausreiseantrag nach Westberlin. Dort gab es damals noch keine Wehrpflicht. Irgendwo war die Belastungsgrenze für mich erreicht.

? Was hat Dich denn am sogenannten "Ehrendienst" gestört?

! Das Schlimmste bei der Armee wäre für mich gewesen, Befehle ausführen zu müssen, ohne Nachfrage, ohne Kompromisse aushandeln zu können. Anstatt bei der Armee Sachen ausführen zu müssen, mit denen ich aber gar nichts zu tun habe, versuchte ich lieber den Knast zu überleben. Da wußte ich wenigstens wofür - daß es für mich ist. Man kannte ja die Leute, die zur Armee gegangen waren. Die haben sich ganz komisch verändert, wurden sich fremd.

? Also Du hattest den Eindruck, Knast ist nicht schlimmer als Armee?

! Ja. Im Knast dann die Kriminellen, die schon bei der Armee gewesen waren, haben das bestätigt. Die sagten, im Knast ist es immer noch besser als bei der Armee. O.K., es gab zwar nicht die insgesamt 18 Tage Armeeurlaub, aber es herrschte nicht so ein strenger Befehlston wie bei der Armee.

? Wie hast Du Dich auf den Knast vorbereitet und wie lief es bis zur Verhandlung?

! Den Einberufungstermin hab ich nicht angenommen. Der wurde mir dann auf Arbeit vorgelesen unter Zeugen. Mein Vorarbeiter mußte das unterschreiben. Ich hab in der Zeit immer einen Koffer mitgenommen: Bißchen Schreibzeug, Waschzeug, ‘ne Stange Zigaretten, so ‘ne Art Notgepäck. Donnerstag wurde ich abgeholt früh von der Arbeit, wurde in die U-Haft Erfurt gebracht. Dort waren schon etwa 14 Verweigerer, davon 10 Zeugen Jehovas. Die bekamen 20 Monate, wir drei anderen 24. Einer ist dann doch noch zur Armee gegangen, der war nur über das Wochenende bei mir in der Zelle. Dann wurde mir einer in die Zelle gelegt, der den Morgen mit "Heil Hitler"-Schreien begann und auch nachts belastend war. Dienstag war dann schon die "Verhandlung". Ich hab' auch keinen Verteidiger genommen.

? Du kamst dann in den Knast Unterwellenborn, ein ehemaliges FDJ-Lager?

! Nein, erst mal noch in den Stasi-Knast Gera. Da grinste mich der Vernehmer an und sagte: "Wir haben jetzt viel Zeit. Erzählen Sie doch mal über ihre Freunde aus Jena." Sieben Wochen lang versuchten die, mich auszuquetschen und mir noch "staatsfeindliche Verbindungsaufnahme" anzuhängen. Dazu gehörten schon Kontakte zu amnesty international. Ein Pfarrer aus Schweden von ai schickte meiner Mutter Pakete, aber ich bekam davon nichts mit.

? Wie lief der Alltag im Knast?

! Ich mußte im Schichtsystem in Königsee in einer stacheldrahtumzäunten Halle arbeiten. Wir mußten Sägeblätter herstellen. Man hätte die auch bequem in die Zelle schmuggeln können. Aber die Grenze war sicherer als der Knast. Andere mußten im Stahlwerk Maxhütte schwer schuften. Wir wohnten in Holzbaracken und der Winter 1978/79 war besonders streng.

Ganz mies war das Essen, fast ekelhaft, nur auf Arbeit war das Essen gut. Ich hatte den Eindruck, daß die Leute aus dem Betrieb, die die Kübel fertig machten, auch schon mal die doppelte Portion reinlegten. Da gab es auch Fleisch und sogar mal Süßkirschen, die man nicht mal im normalen DDR-Konsum bekam. Sonst gab es an Obst nur ein oder zwei mal kleine Äpfel, die Du nicht mal für Apfelmuß nehmen würdest.

Immer wieder gab es Unfälle und Selbstmordversuche. Alle viertel Jahre ein Toter. Einer hat ein Rostschutzmittel getrunken. Einer ist gestorben bei ‘ner Schlägerei.

Schlimm war auch die Hierarchie. Es gab körperliche Übergriffe, aber ich hatte mit der Zeit einen Recht guten Stand bei den anderen Gefangenen. Ich hab für die Gesuche oder Beschwerden geschrieben. Meist kannten die ja nicht mal das Alphabet. In Unterwellenborn saßen keine Langzeithäftlinge. Das ging so bis zu fünf Jahren. Die saßen wegen Diebstahl, Verkehrsunfällen unter Alkohol oder irgendwelchem Kleinkram, z.B. daß sie im Suff staatsfeindliche Parolen gebrüllt hatten. Einer saß wegen einem Sexualdelikt: Mißbrauch von staatlichem Nutzvieh. Es war schon nicht angenehm mit diesen Leuten.

In einer Nachbarbaracke saß noch ein Verweigerer, Baldur Rudat aus Rudolstadt. Wir kannten uns vorher nicht. An den Wochenenden sahen wir uns beim Hofgang.

? Wie ging es nach dem Knast weiter?

! Im November 1979 kam ich durch die Amnestie fünf Monate eher raus. Die wurden zur Bewährung ausgesetzt. Auf die alte Arbeitsstelle durfte ich nicht mehr. Vielleicht damit ich nicht Kontakt zu meinen Kollegen bekam, die von meiner Verweigerung wußten. Ich mußte dann in einem anderen Werk arbeiten und eine Arbeit verrichten zu der ich nicht ausgebildet war. Nachdem ich mich beschwerte kam ich in die Schlosserei. Irgendwann mal bekam ich Ärger, weil ich einen Solidarnošc-Anstecker trug.

? Im Juli 1981 konntest Du ausreisen und arbeitest seitdem bei BMW in der Werkzeugvorbereitung und Wartung für die vollautomatische Fertigung. Bist Du im Westen rehabilitiert worden?

! Zuerst war da eine Bundesbedienstete, die tat so als ob es in Westberlin auch eine Wehrpflicht gäbe: Wehrdiensttotalverweigerung ist auch bei uns strafbar. Aber irgendwann bekam ich dann 760 Mark für die anderthalb Jahre. Sonst würde ich vielleicht heute noch als vorbestraft gelten.

? Gegen Dich und andere Jenenser legte die Stasi 1980 den Operativen Vorgang "Opponent" an. Federführend war der Stasioffizier Mähler, der für den Tod von Matthias Domaschk im April 1981 mitverantwortlich ist. Hast Du jetzt in Deinen Stasiakten noch was über die Zeit gefunden?

! Ein paar von meinen Stasi-Akten konnte ich schon lesen. Fünf Stasidecknamen hab ich da gefunden. Aber damals war mir auch klar, daß es im Knast Spitzel gibt. Man war ja schließlich nicht mit Freunden zusammen. Zu den Sachen, die ich gesagt habe, hab' ich auch gestanden. Deswegen war mir das relativ egal.

Ich kenne noch nicht alle Akten, aber was ich bisher mitgekriegt habe ist, hätte ich den Wehrdienst nicht verweigert, wäre ich wahrscheinlich nicht einberufen worden. Vielleicht hätten sie mich ganz schnell abgeschoben, um mehr Ruhe zu haben. Aber das Urteil sollte wohl andere abschrecken. Doch später gab es in Jena noch einige Totalverweigerer: Gerd Wagner, Jürgen Katins, Klaus Gieser, Michael Blumhagen ... Andere hatten Glück und wurden nie einberufen.

? Du hast einen inzwischen 16 Jahre alten Sohn. Soll der auch totalverweigern?

! Ich kann ihm seine Entscheidung nicht abnehmen. Letztlich mußt Du das alles alleine durchstehen.

Pump, wir danken Dir für das Gespräch.


Dieser Text wurde der tilt-Ausgabe 2/97 entnommen.