Im Vergleich mit andern Ländern in Europa haben es Zivildienstleistende in Deutschland noch relativ gut - zum einen, weil es in vielen Ländern noch nicht mal eine Alternative zum Militärdienst gibt, zum andern, weil der Ersatzdienst dort, wo es ihn gibt, noch viel eher der Abschreckung potentieller Kriegsdienstverweigerer geeignet ist als in bundesdeutschen Landen.
Am dramatischsten ist die Situation in Rußland. Verfassungsmäßig ist zwar die Möglichkeit zur Kriegsdienstverweigerung und zum Zivildienst vorgesehen. So heißt es in Artikel 59 der Verfassung ganz ausdrücklich: "Ein Bürger der Russischen Förderation, dessen Überzeugungen oder Glaube die Ausübung des Militärdienstes ausschließt, hat das Recht, einen alternativen Zivildienst zu leisten." Es mangelt aber nunmehr seit fünf Jahren einer strafrechtlichen Umsetzung dieses Verfassungsgebots. Ein Zivildienstgesetz, daß einen drejährigen sozialen Dienst vorsah, ist zwar 1994 in erster Lesung durchgekommen, scheiterte aber seitdem in jeder zweiten Lesung. Was dazu führt, das ganz legalistische Kriegsdienstverweigerer statt in ihre Zivildienststelle in den Bau einrücken. Und das etliche Monate oder gar Jahre lang - in Gefängnissen, in denen man auch schon mal nicht überlebt.
Kriegsdienstverweigerer Wadim Hesse hat gerade versucht, vor Gericht sein Recht auf einen Zivildienst durchzusetzen. Ein ungewöhnlicher Fall. Die meisten jungen Leute, die nicht zum Militär wollen, lassen Geld und Beziehung spielen oder besorgen sich Atteste. Aber Wadim ist auch nicht irgendwer: Er ist Mitglied der ARA, die sich für ein Zivildienstgesetz einsetzt und KDVer über ihre Rechte informiert. Vor kurzem hat er sogar mit seinen Freunden und drei deutschen Zivils ein Seminar zum Thema Zivildienst organisiert.
Wadim mußte vierzig Tage in einer überfüllten Zelle mit Dieben, Einbrechern und Kakelaken zubringen, bevor sich die Gerichte überhaupt mit ihm befaßten. Das Ergebnis ist ebenso paradox wie die Rechtslage: Das Strafgericht sprach ihn in Sachen Dienstflucht frei, das Zivilgericht aber erkannte sein Recht, Zivildienst zu leisten, nicht an.
Die russischen Generäle fürchten nichts mehr als ein verbriefte Alternative zum Miliät. "Ein Zivildienstgesetz ist der Tod der Streitkräfte", heißt es. Also bemühen sich die Militärs, einen vierjährigen Bausoldaten-Dienst in der Armee durchzudrücken. "So ein Gesetz hieße Sklavenarbeit in den Baubrigaden der Armee unter schlimmsten Bedingungen", sagt Walentina Melnikowa vom Komittee der Soldatenmütter. "Das ist für uns ebenso unannehmbar wie die Verdoppelung der Dienstzeit: eine reine Bestrafung". Um ihrem Anliegen Nachdruck zu verschaffen, wollen die Anitmilitaristen jetzt junge Russen dazu auffordern, ihr Recht auf Zivildienst massenhaft einzuklagen.
Ähnlich wie in Rußland sieht die Situation in Weißrußland und Bulgarien aus: Auch hier gibt es keinen Ersatzdienst. In Bulgarien sind dem Verfassungsgebot in Sachen Zivildienst keine Gesetze gefolgt, und in Belarus liegt ein entsprechender Gesetzentwurf seit 1994 auf Eis, obwohl ein Drittel der Einberufenen verweigert. Sie müssen allesamt untertauchen oder Krankheit vorschützen. Im Baltikum gibt es keinen zivilen Ersatzdienst, nur einen "zivilen" Dienst in der Armee, der eineinhalb mal bis zweimal so lange dauert wie der Militärdienst. In Rumänien, Bulgarien, der Ukraine, Tschechien und der Slowakei soll der Zivildienst doppelt so lang dauern wie der Militärdienst, und auch in Polen dauert der Zivildienst sechs Monate länger als der Dienst beim Militär
Amnesty international hat vor kurzem noch einmal Maßgaben für einen Ersatzdienst gemacht: Dieser müsse strikt zivilen Charakter haben und nicht wesentlich länger als der Wehrdienst sein, damit er nicht einer Bestrafung gleichkomme. Genau das ist aber in vielen Ländern der Fall: In Portugal müssen Ersatzdienstleistende drei Monate länger dienen als die Wehrdienstleistenden, Frankreich mutet KDVern sogar die doppelte Länge zu (20 Monate). Als Deserteure gelten (auch) in Frankreich Zivis, die ihren Dienst aus Protest gegen die längere Dienstzeit frühzeitig beenden. Zivildienstverweigerer wie die Zeugen Jehovas wurden in Frankreich bis 1995 inhaftiert - bis zu 500 pro Jahr. Inzwischen gibt es auch für sie die Möglichkeit eines zivilen Arbeit.
Österreich hat gerade den Zivildienst von acht (Wehrdienstdauer) auf zwölf Monate verlängert. In Norwegen dauert der Zivildienst bis zu doppelt so lang wie der Wehrdienst, nämlich 16 Monate.Auch in der Schweiz müssen KDVer eineinhalb mal solange dienen wie ihre "Kollegen" beim Militär.
In Griechenland gibt es bis jetzt immer noch keinen Zvildienst - KDVer wandern bis zu vier Jahre in den Knast und bekommen unter Umständen für fünf weitere Jahre die bürgerlichen Rechte aberkannt. Das dort derzeit debattierte Gesetz sieht einen Zivildienst vor, der doppelt so lang ist wie die Militärdienstzeit. Griechenland war bislang der einzige EU-Staat ohne zivile Alternative zum Militärdienst. Der Haken an dem geplanten Gesetz: Der Zivildienst ist mit 36 Monaten doppelt so lang wie der Militärdienst, und es ist noch lange nicht ausgemacht, daß er vom Militär unabhängig sein wird. Amnesty internation hat gefordert, daß die 200 bis 300 Männer, die derzeit wegen Kriegsdienstverweigerung in Griechenland in Haft sitzen, aus dem Gefängnis entlassen werden und Gelegenheit dazu erhalten, den Rest ihrer Dienstzeit als Zivildienst abzuleisten.
Ebenfalls keinen zivilen Ersatzdienst gibt es in der Türkei. Ganz im Gegenteil. Es ist strafbar, sich gegen den Militärdienst auszusprechen.
Johannes H. Guthschink
Dieser Text wurde der tilt-Ausgabe 3/97 entnommen.