TKDV 5000

"Totalverweigerer hat es schon vor 5000 Jahren gegeben"

Warum die antimilitaristische Idee schon in den 20er Jahren gescheitert ist und warum von TKDV trotzdem noch Impulse ausgehen können - Ein tilt-Interview mit Christoph Rosenthal
Die neuere Geschichte der Totalverweigerung in der Bundesrepublik wird hauptsächlich mit den späten 70er und frühen 80er Jahren verknüpft, als Totalverweigerung als die konsequente Form der Kriegsdienstverweigerung (KDV) begriffen und diskutiert wurde. Selbst in bürgerlichen Medien wurde darüber relativ breit berichtet, viele Zivis bekamen ein schlechtes Gewissen. Für eine kurze Zeit schien es, daß Totalverweigerer zumindest zu einer größeren Minderheit unter den KDVern werden könnten. Dazu ist es bekanntlich nicht gekommen. Christoph Rosenthal gehörte damals zu den bekannten Leuten der TKDVer-Szene, seine Bücher wie "Vielleicht ist der Frieden nicht billiger zu haben" und "Friedenstäter" gehören zu den Klassikern der Totalverweigerer-Literatur. Heute schreibt er ein Buch über die Geschichte der TV/TKDV. Matthias Kittmann hat ihn für tilt zur Historie, Entwicklung und Perspektiven der Totalverweigerung befragt.
?: Christoph, wer war denn der erste Totalverweigerer?
!: Das ist eine schwierige Frage zum Anfang. Ich würde behaupten, die hat es schon immer gegeben, schon vor 5000 Jahren, das ist kein neues Phänomen.
?: Ist da eine historische Person überliefert?
!: Nein, aber interessant ist, daß der Kreuzestod eine typische Strafe für Deserteure war. Ob die da zu Tode gekommenen allerdings eine Art Totalverweigerer waren, ist nicht überliefert. Aber Deserteure sind ein altes Kapitel. Die Idee der KDV als bestimmte politische Idee, die mit Pazifismus und Antimilitarismus verknüpft ist, gehört in dieser Form zur bürgerlichen Moderne. Es fängt in verschiedenen Etappen an und spielt in der französischen Revolution eine Rolle, aber noch nicht unter der Idee des Pazifismus, weil es den in dieser Form noch nicht gab. Es gibt dann in Holland Formen, die auch schon in dieses Kapitel hinein gehören, in einem Krieg von 1830, als sich Belgien von Holland abgetrennt hat. Oder denken wir an die pazifistischen Ideen der Quäker aus England, die nach Amerika gegangen sind.
?: Kommen wir auf Deutschland zurück. Wie heißt es jetzt richtig - Totalverweigerer oder Totale Kriegsdienstverweigerer?
!: Was heißt richtig - das ist eine Frage des politischen Selbstverständnisses. Ich selbst bevorzuge den Begriff Totalverweigerung, weil er politisch uneindeutiger ist. Darunter kann man verschiedene Auffassungen besser bündeln. Totale KDV hat sich stark in die Kriegsdienstverweigerung, in die pazifistische Linie einsortiert, was man von anderen Totalverweigerern nicht unbedingt sagen kann. Da gab und gibt es ja andere, die sich nicht auf Pazifismus beziehen. Das sind für mich mittlerweile verschiedene Sachbegriffe. Der Begriff TKDV ist um 1981/82 entstanden. Das hängt, meines Erachtens, mit der Diskussion um die totale Militarisierung zusammen (als Folge der Notstandsgesetze und der zivil-militärischen Verplanung fast aller gesellschaftlichen Bereiche; Anm. d. Red.), daß man den Begriff in dieser Hinsicht präzisieren wollte. Das Problem ist ja, daß Totalverweigerung ja erst einmal ein recht nichtssagender Begriff ist, wenn er nicht bekannt ist.
?: Wo kommt der Begriff eigentlich her?
!: Da muß man zwei Dinge erklären. Die Unterscheidung zwischen Kriegsdienstverweigerung und Totalverweigerung fängt da an, wo verschiedene Formen von Recht auf KDV beginnen. Im ersten Weltkrieg gab es in England die "Absolutists" als Militärdienstgegner und der Begriff ist bis in die 70er Jahre gültig gewesen. In England gibt es ja keine Wehrpflicht, der Begriff der Totalverweigerung kommt also nicht aus den angelsächsischen Ländern. Eher deutet alles darauf hin, daß er aus Frankreich kommt, und zwar als "insumie totale", was sich allerdings schwer übersetzen läßt, vielleicht als "totale Unbotmäßigkeit".
?: Wenn man sich die letzten 20 Jahre der (bundes-)deutschen Totalverweigerer-Bewegung anschaut, würdest Du sagen, daß es da eine deutsche Sonderrolle gegeben hat?
!: Das kann man schon sagen, aber es ist doch viel komplexer, als man auf den ersten Blick denkt. Deutschland hat eine Nachzüglerrolle, was die Kriegsdienstverweigerung angeht. In Deutschland gab es vielleicht mal den ein oder anderen Fall im ersten Weltkrieg, dann kommt das Kapitel des Faschismus hinzu und dann das Debakel der Remilitarisierung in den 50ern. Allerdings ist es auch umgekehrt, daß in Deutschland gerade durch die faschistische Vergangenheit ein Nachholbedarf entstanden ist. Zumindest hat die Bundesrepublik, zumindest was den Begriff KDV und den Zivildienst angeht, eine Dimension, die derzeit in keinem anderen europäischen Land denkbar ist. Das ist der ganz große Widerspruch. Einerseits hat Deutschland in dieser Hinsicht keine lange Tradition, andererseits besteht nun ein enormes quantitatives Phänomen. Das ist allerdings sehr schwer angelaufen, in den 70ern, im Grunde aber erst im Zuge der Friedensbewegung. Interessanterweise hat es in der frühen Bundesrepublik eine sehr starke Linie zur Totalverweigerung gegeben, die allerdings völlig untergegangen ist, da ist gar nichts von übrig geblieben. Man hatte ja bei der Wiedereinführung der Wehrpflicht angenommen, daß ein sehr großer Teil verweigert, so um die 30 Prozent, und 1960/61 waren es dann gerade einmal 300 Leute.
?: Worauf habt ihr euch denn, als in den frühen 80ern Totalverweigerung ein großes Thema wurde und ihr auch publizistisch sehr aktiv wart, bezogen, wie ist das entstanden?
!: Das kam eher allgemein noch aus dem 68er-Moment heraus, nicht unbedingt aus dieser KDV-Linie. Es ging da eher um eine andere politisch-kulturelle Orientierung. In dieser Zeit hatte man viele Möglichkeiten, etwas zu machen. Da kam die taz dazu, es entstanden viele alternative Verlage. Dort war ein großer Bedarf, Themen wie Totalverweigerung zu publizieren. Generell organisierte sich ein neues politisches Spektrum, auch für den Bereich der Totalverweigerung, eine Suchbewegung. Da gab es spannende Diskussionen und für mich war das, von der politischen Arbeit her, die interessanteste Zeit.
?: Aber das seltsame an der Friedensbewegung und der Anti-Raketen-Bewegung war doch, daß Totalverweigerung nie ein zentrales Thema war, überhaupt hat es nie eine wirklich antimilitaristische Idee gegeben.
!: Die Idee und Entwicklung einer antimilitaristischen Idee ist im Grunde schon in der 20er Jahren gescheitert, als sich entsprechende Strömungen unter Sozialisten, Sozialdemokraten und in den Kirchen nicht durchsetzen konnten. In der Folge von 68 ist es ja durchaus wieder versucht worden. Die Debatte um 1980 zeigt ja schon, daß viele mit dem inzwischen etablierten Verständnis von KDV überhaupt nicht mehr glücklich waren. Aber die TKDV-Bewegung hat es letztlich nie geschafft, dies als neue Idee in einer breiteren Form zu zünden.
?: Wenn man die verschiedenen Strömungen der Totalverweigerung in der BRD vergleicht, wo liegen die Unterschiede, und kann von TKDV heute überhaupt noch ein Impuls ausgehen?
!: In den frühen 80ern hat immer noch die gesamtgesellschaftliche Orientierung eine Rolle gespielt in der ganzen Anlage der Totalverweigerung. Wir haben nach Strategien für eine gesellschaftliche Umorientierung gesucht. Das war ein Moment, was noch im Gefolge der 68er entstanden ist. Später hat dann die Totalverweigerung immer mehr eine subjektive Komponente erhalten und wurde immer mehr eine Orientierung auf die eigene Szene, auf das eigene Umfeld. Also nicht mehr, daß man versucht, auf irgendwelche gesellschaftliche Institutionen einzuwirken. Das ist für mich der Hauptunterschied.
Trotzdem glaube ich, daß von der Totalverweigerung noch immer eine gewisse Wirkung ausgeht. Aber man muß es heute anders sehen. Der entscheidende Unterschied ist: Du kannst vom Individuum im "atomisierten Bereich" reden, du kannst aber auch von dem Begriff der Persönlichkeit als einem produktiven "Ich" ausgehen. Ich denke, daß das heute auf dieser Schiene läuft. Das heißt, daß man von einem neuen kulturellen Verständnis ausgeht. Man glaubt nicht mehr an eine eigene Position, die sich als Mehrheitsposition durchsetzt - das ist für uns einfach nicht greifbar. Aber ich denke, daß man von einem gewissen subjektiven Verständnis her durchaus eine gewisse Ausstrahlung entwickeln kann. Daß man einfach neue kulturelle Formen entwickelt, eine Lebensvorstellung aufzeigt, wo einerseits Widerstand dazugehört und andererseits Kreativität. Ich glaube, daß eher diese Linie heute entwicklungsfähig ist. Vom traditionellen KDV-Selbstverständnis verspreche ich mir nicht viel, das scheint mir ausgereizt.