Dieser Artikel stammt aus der antimilitärischen Zeitschrift tilt, Ausgabe 2/96

Gericht läßt prüfen: Ist die Wehrpflicht noch verfassungsgemäß?

Wie man einen ganz normalen TKDV-Prozeß zur Grundsatzfrage macht

Die Verhandlung gegen den TKDVer Volker Wiedersberg am 8. Februar vor dem Potsdamer Amtsgericht dauerte nur 45 Minuten. Der überforderte Richter setzte den Prozeß aus, um über den von Anwalt Wolfgang Kaleck gestellten Antrag auf ein Normenkontrollverfahren zu entscheiden: Ist die Wehrpflicht überhaupt noch durch die Verfassung gedeckt?

Der Prozeßtermin war bereits einmal verschoben worden, weil der Richter einen zu kleinen Saal ausgewählt hatte. Nun erwies sich der größte, über 100 Personen fassende Gerichtssaal als immer noch zu klein - 30 Leute mußten draußen bleiben. Grund: Das Medieninteresse war immens. Zeitungen wie die Frankfurter Rundschau berichteten vorher und hinterher, abends kam ein TV-Beitrag im ORB. Die vielen Prozeßbeobachter verunsicherten den ohnehin schon von Kalecks Antrag kalt erwischten Richter völlig - er hatte ja noch nicht mal Beisitzer, mit denen er sich hätte beraten können. Anwalt Kaleck und Volker Wiedersberg rechnen nicht unbedingt damit, daß der Richter tatsächlich eine Normenkontrollvorlage zur Verfassungsmäßigkeit der Wehrpflicht ans Bundesverfassungsgericht gibt, obwohl sie es natürlich hoffen. Wenn der Richter den Antrag ablehnt und Volker verurteilt, steht immer noch der Instanzenweg offen, an dessen Ende das Bundesverfassungsgericht steht. Seit 1960 hat dort niemand mehr die Wehrpflicht angezweifelt. Das sich seitdem die geopolitische Lage grundlegend verändert hat und die Bundesrepublik nicht mehr direkt bedroht ist, gibt selbst Volker Rühe zu. Damit, meint der Verfassungsrechtswissenschaftler Dr. Manfred Baldus aus Hamburg, der ein Rechtsgutachten für den Antrag verfaßt hat, ist die Grundrechtsbeschneidung der Wehrpflichtigen nicht mehr durchs Grundgesetz gedeckt, weil die jetzigen, verfassungsgemäßen Verteidigungsaufgaben durch den Staat auch mit einer Berufs- oder sonstigen Armee wahrgenommen werden können. Wie geht es weiter? Der Richter meint, bis zum Juni brauche er mindestens Zeit für die Prüfung des Antrages. Wenn er dann eine Vorlage machen sollte, wird die Hauptverhandlungsfortsetzung zumindest um etliche Monate verschoben. Bei Ablehnung des Antrages geht es vielleicht "schon" im Sommer weiter. So ein Prozeß ist teuer, und wird auch mit der jetzigen Vertagung teurer. Jede Instanz kostet. Sollte Volker wirklich vor das Bundesverfassungsgericht in letzter Instanz gehen müssen und/oder wollen, so geht das nur mit finanzieller Unterstützung auch aus der Friedensbewegung. Spenden für die Prozeßkosten können auf das Konto der "Pro Total Prozeßkostenhilfe", Kto.-Nr. 20 90 90 bei der Ökobank e.G., BLZ 500 901 00 unter dem Stichwort "Prozeßkosten Volker Wiedersberg" oder auf Volkers eigenes Konto überwiesen werden: Volker Wiedersberg, Kto.-Nr. 24 70 48 96 00 bei der BfG Potsdam, BLZ 160 101 11, Stichwort: "Prozeßkostenhilfe".

Gerold Hildebrand

Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck kommentiert den Fall für tilt.

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