Todesspiele - Kinder im Krieg: Opfer, Ziele, Täter

Kinder sind die eigentlichen Verlierer im Krieg. Etwa zwei Millionen Kinder haben nach Angaben von terres des hommes in den vergangenen zehn Jahren in Kriegen, Scharmützeln und Straßengefechten ihr Leben verloren. Weitere sechs Millionen trugen schwere körperliche, zehn Millionen ernste seelische Schäden davon, berichtet die terres-des-hommes-Vorsitzende Petra Boxler. »Kriege haben eine neue Qualität erreicht«, sagt Boxler. »Kinder sind darin nicht mehr nur Opfer, sondern sind zu Zielen geworden, und sie werden zu Tätern gemacht.« tilt hat sich umgesehen: Kinder als Opfer von Atomtests in China, Kinder als Ziele im Bürgerkrieg, Kinder als Täter, die als Kindersoldaten brutal killen oder für Hitler ins letzte Gefecht gingen. Aber ob als Opfer, Ziel oder Täter: Sie sind immer die Verlierer.

Kurz vor Weihnachten erschien Badischen Zeitung ein Bild , auf dem ein US-Soldat in abgebildet war. In dessen Panzerfahrzeug sitzt auf seinem Schoß ein fünfjähriger Junge, der begeistert am Lenkrad des Wagens spielt. Es macht ihm offensichtlich nicht nur Spaß, es ist auch gut, denn der Soldat sichert damit den Frieden. So lernen die lieben Kleinen, daß es in Ordnung ist, ihre Faszination für Waffen auszuleben.

NATO-Partner: Ab 16 zur Armee

Ein sechzehnjähriger Soldat aus Liberia berichtet: »Ja, Ich war glücklich mit dem Gewehr. Immer wenn wir gehört haben, daß es einen Angriff gab, fingen wir an zu tanzen und zu trommeln, weil wir wußten, daß wir nun kämpfen würden. Ich mag den Krieg. Ich habe mich nicht wohl gefühlt, als mein Volk umgebracht wurde. Aber wenn wir gemeinsam kämpften und ich den Feind tötete, ging es mir gut.« In Liberia und Ruanda werden gezielt Kinder abgeschlachtet, um den Gegner zu entnerven. Sie werden zwangsrekrutiert und zu kriegerischen Monstern abgerichtet. In Mosambique werden sie als lebendes Minensuchgerät verwandt.

Kindergrundrechte mit Füßen getreten

Leider ist es nicht nur in armen Ländern üblich, Kinder als Soldaten zu mißbrauchen. Auch in den Niederlanden soll die Altersgrenze für Berufssoldaten auf sechzehn Jahre gesenkt werden. Grund: Personalnot bei der Berufsarmee. Wo keine Kampflust vorhanden ist, wird sie vom Verteidigungsministerium erzeugt – und dann müssen auch halbe Kinder an die Front. In Großbritannien und Griechenland können Freiwillige schon lange mit sechzehn zur Armee. Selbst dann, wenn die Kinder nicht zum Kampf gezwungen werden, bedeutet der Krieg eine Verletzung ihrer Grundrechte auf körperliche und seelische Unversehrtheit sowie auf Bildung. Die Ausbildung, die sie erhalten, wird von militärischen Konflikten geprägt. So gibt es in Israel seit 1953 einen militärischen Pflichtunterricht. In Libyen erhalten die jugendlichen mit vierzehn Jahren eine militärische Grundausbildung.

Solange die Grundbedürfnisse der Kinder weltweit unbefriedigt bleiben, wird es Kriege geben. Die Heranwachsenden ziehen es vor, für ihre Rechte zu kämpfen, ehe sie sich einem Siechtum in Armut hingeben. Es bedarf wirklich eines hohen Grades an Selbstdisziplin, damit junge Menschen erkennen, daß die Verwicklung in einen ewigen Bürgerkrieg ihnen noch weniger bringt als ein mühsames Engagement ohne Waffen. Viele arme Jugendliche haben gar nicht erst die Gelegenheit, zu entscheiden, welche Art von Engagement die effektivere ist. In Uganda wurden Elf- bis Sechzehnjährige von den Rebellen entführt, und zum Kampf gezwungen. Die Aufgaben der Kinder im Krieg sind gefährlich und unangenehm: Minen räumen, spionieren, Lasten tragen, kochen und putzen.

Kinder werden immer stärker in Kriege eingebunden. Die moralischen Vorstellungen der Kriegsherren, so denn je welche gehabt haben, haben sich verschoben: Kinder stellen in einigen Rebellentruppen über drei Viertel der Streitkräfte – und selbst, wenn sie aus dem Krieg wieder nach Hause kommen, sind sie praktisch nicht wieder in Gesellschaft zu integrieren.

Feuerwaffen sind derart billig haben, daß Kinder in Kolumbien oder Somalia sie sich leicht beschaffen und zum Straßenraub einsetzen können. »Diese Kinder haben nichts gelernt, als eine Knarre zu bedienen«, sagt Wolfgang Christian Ramm von terres des hommes. Die Organisation war 1967 in Stuttgart für Kinder im Vietnamkrieg gegründet worden. Zum 30jährigen Bestehen letzten Jahres zog Vorsitzende Boxler das bittere Resümee: »1997 hat sich die Lage der Kinder im Krieg im Vergleich zu 1967 keinesfalls verbessert.«

Fortschritt? Technisch vielleicht, menschlich nein.

Jeder Krieg ist auch ein Krieg gegen Kinder. Es ist für die Entwicklung eines Kindes ausschlaggebend, ob es im Krieg oder im Frieden aufwächst. Auch die Gesamtentwicklung der Gesellschaft hängt davon ab, ob viel Kraft und Geld in die Bewältigung oder Austragung eines Konfliktes hineingesteckt wird oder nicht. Ohne ein arbeitsfähiges, ausgebildetes Volk kommt ein Land aus dem Teufelskreis von Armut und Krieg nicht heraus.

Besonders verwerflich ist es, wenn die hochentwickelten Länder die bewaffneten Konflikte mit Rüstungsexporten anfeuern. Wie Parasiten sichern sie ihr eigenes ökonomisches Wohlergehen, indem sie die Bürgerkriege geschäftlich ausnutzen.

Haben die Waffenexporteure jemals einen Gedanken an die Kinder des importierendes Landes verloren? Wie gehen sie mit ihren eigenen Kindern um? Haben sie noch nie über den Zusammenhang zwischen Rüstungsausgaben und Armut nachgedacht? Was bedeutet es für das soziale Gefüge eines Landes, wenn es die Hälfte seines Haushaltes für Militär und Rüstung verwendet?

Die Tatsache, daß Millionen von Kindern in Armut, Bürgerkrieg, Flüchtlingslagern und Elend aufwachsen müssen, kann man nur mit der Gleichgültigkeit der Waffenproduzenten und Militärs erklären.

Virginia Edwards-Menz, Thomas Schüsslin, Stephan Scholz

Dieser Text ist Teil der tilt-Ausgabe 2/98.